Der Weg von der „dummen“ Bombe zum „smarten“ Waffensystem

GBU 31, first flight, Edwards AB, PD, Flickr

Der Weg von der „dummen“ Bombe zum „smarten“ Waffensystem

Man liest immer wieder von „intelligenten“ Bomben, von „präzisen“ Bomben, von „gesteuerten“ Bomben, von allen möglichen Dingen. Und viele können sie nicht korrekt zuordnen, worum es eigentlich geht.

Deshalb mal ein paar Worte, speziell zur Unterscheidung zwischen „dummen“ und „smarten“ Bomben.

Historisch

Ursprünglich entwickelten sich von Flugzeugen abgeworfene Bomben aus Artillerie Geschossen ohne Treibsatz. Was mit winzigen von Hand abgeworfenen Artillerie Granaten – ähnlich der Ukrainischen Taktik, mit „Spielzeug“ Drohnen Panzer anzugreifen – begann, entwickelte sich über Jahre hinweg vor allem in zwei Richtungen:

Mehr Zuladung und größere Präzision beim Abwurf.

Mehr Zuladung war vor allem deshalb wichtig, weil die Bomben nicht nur eine mit heutigen Waffen verglichen geringe Explosionswirkung hatten, aber auch mit dem großen Anteil an Bomben, die aus den verschiedensten Gründen nicht das Ziel trafen (oder versagten).

Die ungelenkten „dummen“ Bomben wurden über die Jahre immer weiter entwickelt, bis sie in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg mit den NATO Bezeichnern Mk-82/83/84 ihren vorläufigen Schlußpunkt der Entwicklung erreichten.

Sprengpotential und Versagerquoten waren zu diesem Zeitpunkt schon so verbessert, dass kaum mehr Verbesserungen zu erwarten waren. Zumindest keine, die ökonomisch realisiert werden konnten.

Nur die Treffsicherheit war noch nicht so, wie man das eigentlich gebraucht hätte. Noch viel zu oft trafen Bomben, die mit hohem personellen und materiellem Risiko ins Ziel geflogen wurden, nicht oder nur teilweise. Auch die seit dem Zweiten Weltkrieg immer weiter verbesserten analogen Zielcomputer halfen dabei nur begrenzt.

Das Problem ist, dass die Umwelteinflüsse, von der Dichte und der Temperatur der Atmosphäre über verschieden ausgerichtete atmosphörische Schichten mit unterschiedlicher Windrichtung und -intensität bis hin zum Mikroklima, das der beste Wetterbericht nicht vorhersehen konnte, die Genauigkeit des Bombenabwurfs verringern.

Aber auch das Risiko beim Abwurf ungelenkter Bomben ist hoch: Flugzeuge müssen mit möglichst geringem Beschuß ins Zielgebiet gelangen und sind vor allem im letzten Teil des Anflugs nicht dazu in der Lage, mit Ausweichmanövern die Zielsicherheit der Flugabwehr zu beeinträchtigen. Ein leichtes Ziel.

Grundlegend wird bei ungelenkten Bomben eines der folgenden drei Manöver angewendet, mit einigen weiteren Varianten, auf die ich hier nicht weiter eingehen werde, weil „Grundlagen“:

Abwurf aus großer Höhe

Diese, im Zweiten Weltkrieg wg. der begrenzten Höhe der verwendeten Flak Kanonen häufig angewandte Verfahren, wurde durch moderne Boden-Luft-Raketen immer obsoleter. Je größer die Höhe, desto mehr Wetterfaktoren wirken auf die abzuwerfende Bombenlast, was beispielsweise im Zweiten Weltkrieg mehrfach für außergewöhnliche Kollateralschäden fernab von den eigentlichen Zielen führte.

Auch ist die Sicht in großer Höhe selbst bei stabilen Wetterlagen alleine schon durch die Luftfeuchtigkeit massiv beeinträchtigt.

Abwurf aus niedriger Höhe

Hier wird zu allen Zeiten eine niedrige Höhe eingehalten, um möglichst wenig Exposition zu bieten. Diese Methode hat indes große Nachteile in Sachen Zielsicherheit und bietet beim Überflug des Ziels nur ein winziges Zeitfenster für den Abwurf. Sie ist nur begrenzt für das Abwerfen mehrerer Bomben geeignet.

„Guckuck“

Eine Sonderform ist das „toss bombing“, dt. als Überkopf Bombardierung bezeichnet. Hier wird schnell und tief angeflogen und kurz vor dem Ziel scharf hoch gezogen. Die Bomben können so weiter vom Ziel entfernt abgeworfen werden, was im Zusammenspiel mit einem scharfen Ausweichmanöver direkt nach Abwurf Vorteile bei bestimmten Formen der Flugabwehr bieten kann.

Interessanterweise wurden selbst riesige und heute als Nuklear- und Abstandsbomber genutzte Flugzeuge wie die B-52 („Buff“) für all diese Abwurfarten konstruiert. Für die Manövrierfähigkeit der B-52 wurden beispielsweise mächtige Querruder verbaut, die nach einem „toss bombing“ oder „Popup Manöver“ ein aggressives Rollen um die Längsachse für einen forcierten Kurvenflug unter Höhenverlust ermöglichen sollten.

Diesen Zweck haben die Ruder erfüllt, nur war diese Agilität einerseits mit Einführung „intelligenter“ Waffensysteme nicht mehr relevant, andererseits haben die enormen Kräfte die Lebensdauer der tragenden Strukturen massiv verringert. Man hat sich also dazu entschieden, der B-52 die Querruder zu nehmen. Sie wurden „fest geschweißt“. Das funktioniert, weil die B-52 auch sogenannte „Spoilerons“ hat, spezielle Ruder auf den Tragflächenoberseiten. Diese speziellen „Querruder“ leiten die entstehenden Kräfte in den Hauptspant, also den „Träger in der Tragfläche“ ein und das in einem weit geringeren Maß als bei „Ailerons = klassischen Querrudern“.

Die ersten „smarten“ Bomben

Da GPS noch nicht zur Verfügung stand und die Miniaturisierung anderer Systeme problematisch gewesen wären, entschied man sich bei den ersten Generationen der gelenkten „Smarten“ Bomben für eine Laserzielführung.

Dabei wurde ein vorgezogener Beobachter am Boden eingesetzt, der mit einem Laser das Ziel für die Bombe markiert hat. Dieses „Painting“ des Ziels musste schon vor dem Abwurf aktiv sein und bis zur Detonation der Bombe aktiviert bleiben. Fiel die Markierung aus, flog die Bombe „dumm“ weiter.

Die Lasermarkierung als alleiniger Mechanismus war aber durch Rauch, Wolken und andere Faktoren störanfällig, das Risiko für den Markierenden enorm.

Trotzdem wurde diese Form der Markierung bis in die 2000er, auch im zweiten Irak-Krieg, angewandt.

Die erste Generation dieser Bomben 1965 hieß noch „Pave Way“, was später zur

Paveway I

wurde. Die erste ihrer Art wurde von einer Mk-117 mit 750 Pfund (Bezeichnung nach Gesamtgewicht, der verwendete Sprengstoff ist nur ein Teil dieses Gewichts, in diesem Fall sind von den rund 350kg nur rund 180kg Sprengstoff. Tritonal, bei diesem Modell) abgeleitet und als GBU-1/B bezeichnet.

Ihr folgten, aufgrund der hohen Präzision und ihrer Erfolge wurden viele andere ungelenkte Bomben, auch Streubomben, auf Laserführung umgerüstet. So gab es schon kurze Zeit später eine ganze GBU „Familie“ von der GBU-1 bis zur GBU-12.

Schon während diese anderen Varianten ausgerüstet wurden, arbeitete man mit Hochdruck an der verbesserten und kostengünstigeren Variante, der

Paveway II

Sie wurde ab 1977 in Dienst gestellt und war präziser, kostengünstiger und einfacher im Handling: Die zuvor in zwei Varianten vorhandenen Größen der Leitfinnen wurde auf eine Größe reduziert, die aber ausklappt, anstatt starr im Wind zu hängen. Die Paveway II konnte deshalb in einem breiteren Spektrum an Situationen eingesetzt werden, erzeugte weniger Luftwiderstand und war unproblematischer im Gesamthandling.

Verwendet wurden bei der Paveway II vor allem Sprengköpfe der moderneren Mk Serie, Streubomben waren dieses Mal keine mehr dabei.

Interessant war aber, dass über die Jahre hinweg mehrere spezialisierte Paveway II entwickelt wurden, wie der „Bunkerbrecher“ BLU-109 mit 2000lb / 883kg Gesamtgewicht. Oder die mit BLU-126/B Sprengkopf mit 500lb / 227kg, die mit reduziertem Vernichtungsradius und anderen Features vor allem Kollateralschäden minimieren sollte. Und das auch tat.

Die Paveway II blieb lange in Dienst und wurde in dieser Zeit auch zunehmend mit zusätzlichen Empfängern für GPS und Trägheitsdaten ausgestattet, was ihre Anfälligkeit gegen schlecht erkennbare Lasermarkierungen erheblich verbesserte. Die

Paveway III

ist übrigens entgegen der Bezeichnung kein direkter Nachfolger der Paveway II, sondern wurde spezialisiert auf den Abwurf in niedrigen Höhen optimiert. So wurden im Tiefflug mit „Popup“ Verfahren Reichweiten um die 10 Nautische Meilen / 18 Kilometer erreicht, was einen enormen Sicherheitsgewinn für Flugzeug und Besatzungen darstellt. Darüber hinaus wurde die Präzision von durchschnittlich (50% der Fälle) 6 Meter auf unter 1 Meter reduziert. Und das schon 1983!

Von der Paveway III, die ursprünglich nur den Sprengkopf der Mk-84 erhalten sollte, wurden über die Jahre immer weitere Versionen hergestellt, einige davon hochspezialisierte Bunkerbrecher.

Hochmodern wurde es dann 2008 mit der Einführung der

Paveway IV

die eine ganze Reiha an Änderungen erhielt, aber (vorerst) auch nur in einer Größe mit 500lb / 227kg produziert wird.

Sie ist resistenter gegen GPS Störsender, die Besatzung des Flugzeugs kann den Einschlagwinkel im Ziel bestimmen und besitzt einen hochmodernen Sprengsatz, der Fehlzündungen minimiert und im Brandfall kontrolliert abbrennt, anstatt zu explodieren.

„Rucksack“ Bomben oder: Waffenrecycling

Da alle Paveway aber einerseits den Malus der nicht gerade preisgünstigen Produktion besitzen, andererseits aber aus Zeiten des Kalten Kriegs Unmengen an ungelenkten Bomben in den NATO Lagern langsam (und teuer, denn auch sie müssen gewartet werden) vor sich hin verrotten, kam man auf die Idee, den ungelenkten Bomben mithilfe eines „Rucksacks“ so viel Fähigkeiten der „Smart Bombs“ mitzugeben, wie möglich.

Ungelenkte Bomben, die mithilfe dieser Verbesserung Lenkfähigkeit erhalten, nennt man

JDAM – Joint Direct Attack Munition

Nicht nur sind die auf die ungelenkten Bomben vom Mk-Typ angebrachten Steuersätze preislich deutlich günstiger als neu produzierte Paveway Bomben, man erspart sich auch die Wartung und die Entsorgung der ungelenkten Bomben. Und nein, das Argument, das Militär beginne Kriege, um alte Munition los zu werden ist Unfug.

Das JDAM Paket ermöglicht, eine ungelenkte Bombe mit einem GNSS Empfänger und einem Trägheitsnavigationssystem auszustatten. Sie erreicht damit eine Reichweite bis zu 28km (!) in größeren Höhen und eine, zwar nicht mit den Paveway vergleichbare, aber immer noch meist ausreichende Präzision von rund 13 Metern.

Eine „Langstrecken“ Modifikation JDAM-ER soll übrigens Reichweiten von bis zu 72km erreichen.

Übrigens: Reichweiten dieser Art sind DIREKTE Reichweiten. Als Bodenbewohner rechnet man meist in „Auto Kilometern“. 72km Reichweite sind mit einem „Bonus“ von rund 1/3 für Straßen mit ihren Kurven rund 100km. Man stelle sich vor, man habe in einer Flugabwehrsituation die Aufgabe ein Flugzeug auf 100 Straßenkilometer Entfernung abzuschießen… was für „vollwertige“ Flugabwehrsysteme ein oft lösbares Problem darstellt, ist für die zahlreichen Schultergestützten „Manpads“ eine unlösbare Aufgabe…

Übrigens: Die JDAM sind nicht (!) lasergestützt, wie die Paveway Varianten. Sie besitzen erst seit einigen Jahren eine zusätzliche Option für einen Lasersensor. Dieser arbeitet aber nicht mit „Markierten“ Zielen sondern verfolgt bewegliche Ziele, falls diese während des Anflugs ihre Position verändern.

Die Israelische Luftwaffe verwendet seit Jahren ein auf ihre Bedürfnisse angepasstes System genannt

Spice (Israel)

das ähnlich der JDAM Systeme wirkt, aber doch völlig anders ist.

Anders als bei der primären Steuerung über Positionierungssysteme (GNSS), wird „Spice“ primär optisch geführt, bei notwendiger Entscheidungsfähigkeit und Präzision auch vom Waffenoffizier eines Flugzeugs. Nur bei Ausfall der Optik wird auf eine GNSS Zielführung als Backup zurück gegriffen.

Mithilfe zahlreicher gespeicherter Bilder des Ziels im Suchkopf der Rakete und einer kombinierten Normalspektrum- und Infratortkamera, erkennt Spice das Ziel und führt sich unabhängig von GPS und Co mit einer Genauigkeit von rund 3 Metern ins Ziel. Überdies sind bis zu 100 (!) Ziele vorprogrammierbar, sollte während der Mission eine Änderung des Primärziels erfolgen.

Das „Addon“ ist also „intelligent“. Ebenso kann das Ziel vom Flugzeug aus bis kurz vor dem Einschlag noch geändert werden. Das alles bei Reichweiten von bis zu 60-100 Kilometern!

Die nächste Generation der „smarten“ Bomben ist übrigens auch schon da, die

SDB – Small Diameter Bombs

Diese sehr kleinen und sehr leichten Bomben mit nur 23kg (!) Sprengstoff im Gefechtskopf sind (nicht nur) für die in der Radarsignatur reduzierten Kampfflugzeuge der fünften Generation entwickelt worden: Diese hocheffektiven Bomben werden mit GPS und Trägheitsnavigationssystem gelenkt und können in größerer Stückzahl und in internen Waffenbehältern mitgeführt werden.

Sie können nicht nur feste wie auch bewegliche Ziele angreifen und haben eine Zerstörungskraft die der, deutlich größerer Bomben entspricht, es gibt darüber hinaus auch Ausführungen für verringerte Umgebungsschäden und eine Version, die mit amerikanischen MLRS abgefeuert werden können, was die Grenzen zwischen gelenkten Bomben und Raketen weiter verschwimmen lässt. Diese bodengestützten Präzisions“bomben“ haben eine Reichweite von rund 150km.

Diese Übersicht soll dazu dienen, bei den in Zukunft noch häufigeren Meldungen zum Thema Bombardements ein bisschen „Grundlagenwissen“ zu haben. Die Anzahl der verfügbaren ungelenkten und gelenkten Bomben ist natürlich sehr viel größer und – je nach Land, bzw. Machtblock – auch unterschiedlicher.

Natürlich werden gelenkte Bomben niemals gelenkte Raketen oder gar Cruise Missiles ersetzen. Aber auch umgekehrt ist das der Fall. Und wenn mal wieder „Fake News“ durch den Äther prasselt, hat man über die Möglichkeiten und den Aufwand, der Betrieben wird, um Kollateralschäden zu vermeiden, schon mal was „im Hinterkopf“.

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